DIE BERUFUNG

Vorwärts in die Vergangenheit

Was genau bringt es eigentlich, hinzugucken? Müssen wir das? Ist Geschichte nicht einfach irgendwann Geschichte, oft erwähnt, nicht zu ändern, sollten wir nicht nach vorne blicken - gerade jetzt, da die Geschichte deutliche Anstalten macht, sich sowieso zu wiederholen?

Nazi-Enkel Gene entschließt sich, seinem Opa auf Augenhöhe zu begegnen, und muss diese Höhe erstmal festlegen. Wo befindet sich ein verstorbener Mensch - und lässt sich seine Schuldfrage mit Hilfe überlieferter Briefe klären?

Doku-Schauspiel und begleitende Theaterworkshops
zur familiären NS‑Aufarbeitung
Buch/Regie: Jennifer Sittler
Schauspiel: Christian Wincierz
Zeichnungen: Clara Bosch
Musik/Dramaturgie: Lucas Florian

STÜCKINHALT

Gene hat Fragen.

Er hat Dokumente über seinen Großvater entdeckt, einen gewissen Edward Vieth Sittler, der sich mit 21 Jahren aus Ohio nach Deutschland begeben hat – als gebürtiger Amerikaner, im September 1937.

Alleine in New York versucht Gene, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Mit dabei: Umzugskisten voll Material, das ihm zugeschickt wurde, seitdem er begonnen hat, der Familie Fragen über den lange verstorbenen Großvater zu stellen.

„Das Sammelsurium, zusammengetragen aus allen Ecken des Clans. Auf einmal hatten alle irgendwelche Vergangenheitsfetzen, die davor noch nirgends aufgetaucht sind.

Alle Tanten, Onkel, Cousinen, Cousins, Geschwister, Eltern. Kleine, leimgebundene Büchlein voll handgeschriebener Gedichte. Fotoalben, Briefe, Publikationen, Collagen. Zeitungsartikel und Kopien.“

Gene übersetzt einen Tagebuch-Eintrag …

Nach und nach rekonstruiert Gene das Geschehen – die Ereignisse, die das Leben seines Großvaters geprägt haben: Ausreise nach Deutschland, Einbürgerung, Arbeit in der NS-Propaganda, Kriegsgefangenschaft und Landesverrats-Prozesse in den USA. Die fehlende Verarbeitung innerhalb der Familie nimmt mehr und mehr Raum in seiner Suche ein.

Wie kam es dazu, dass niemand gefragt hat? Und was passiert, wenn es jemand doch tut? Zwischen Bagelshops in Brooklyn, Archiven und Gerichtssälen versucht Gene, der Geschichte seiner Familie näher zu kommen – und findet zwischen Landes- und Zeitgeschichte seinen eigenen Umgang mit der Schuld seines Großvaters.

… und baut sein Archiv aus Umzugskisten.

Dem Theatermonolog liegt Material aus dem Leben Edward Vieth Sittlers zugrunde, dem Großvater der Autorin und Regisseurin Jennifer Sittler. Das Stück beschäftigt sich auf neuartige Weise mit dem mutigen Schritt, sich den Fehlern vergangener Jahrgänge wirklich zu stellen.

Der Charakter Gene, ein Vertreter der 2. Nachfolge-Generation des Dritten Reiches, bietet eine moderne Anleitung zur Aufarbeitung durch junge Generationen. Der direkte Blick in das Leben des individuellen Privatmenschen Edward Sittler rückt die Vergangenheit in den Bereich des direkt Erfahrbaren: nicht als Erzählung von politischen Entscheidungen und den mächtigen Menschen, die sie trafen, sondern als Erzählung aus dem Alltag eines Individuums, das diese politischen Entscheidungen geduldet, mitgetragen und propagiert hat.

Die Brooklyn Bridge, die man überqueren muss, um …

… zum New York Court Of Appeals zu gelangen.

Das Stück legt einen vernachlässigten, weil durchaus privaten, Diskurs innerhalb der NS-Erinnerungskultur offen und besitzt das Potential, eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Erinnerung im Wirkungskreis der Theaterspielstätten von „Die Berufung“ anzustoßen.

BEGLEITENDE THEATER­WORKSHOPS

In den Workshops wird das Theaterstück inhaltlich vorbereitet und ergänzt. Dabei arbeiten wir sowohl mit Szenen aus dem Lebensalltag der Workshop­teilnehmer'innen als auch mit Material aus der dokumentarischen Recherche, die dem Monolog zugrundeliegt.

Die Workshops kommen idealerweise auf eine Gesamtzeit von 6 Stunden, können zeitlich und inhaltlich aber angepasst werden. Auch können sie über mehrere Tage oder Monate verteilt stattfinden. Am Marie-Therese-Gymnasium waren wir über den Zeitraum von vier Monaten einmal pro Monat für 90 Minuten vor Ort.

Es können auch nur die Workshops oder nur das Theaterstück gebucht werden.

AUFBAU

Die praktischen Grundbausteine sind:

Im Idealfall werden vier Themenbereiche behandelt:

Je nach zeitlicher Kapazität werden die praktischen Grundbausteine und die vier Themenbereiche veknappt bzw. erweitert.

INHALT UND ZIELSETZUNG

Workshops und Theaterstück zielen darauf ab, die im Geschichtsunterricht behandelte deutsche Geschichte ins Private hinein zu erweitern und den Blick dafür zu schärfen, was nach 1945 nicht geschehen ist. Unter dem Eindruck, dass das Dritte Reich kein geschichtlich isoliertes Phänomen darstellt, das „nie wieder“ passieren kann, sondern aus der Mitte einer demokratischen Gesellschaft heraus entstanden ist und wieder in sie zurückgesunken ist, soll das Projekt dazu ermutigen, gerade im eigenen Umfeld Fragen zu stellen.

Indem der Vorgang der Verdrängung sichtbar gemacht und zur jetzigen Lebensrealität der Workshopteilnehmer'innen in Bezug gesetzt wird, werden die Lücken in der familiären und juristischen Aufarbeitung des dritten Reiches nachgebildet und greifbar gemacht.

Der vierte Themenbereich, Gruppendynamik und Propaganda, vermittelt dabei die gesellschaftspolitische Dynamik, die unter anderem dazu geführt hat, dass Einzelne ihre individuelle Schuld entweder nicht gesehen oder nicht akzeptiert haben, weder während der Phase ihrer Entstehung noch während der Phase potentiell möglicher Einsicht ins eigene Handeln.

Jeder Themenbereich wird mit dem Theaterstück in Verbindung gesetzt, entweder indem Material aus dem Stück verwendet wird, eine anschließende Diskussion das Workshopgeschehen thematisch verknüpft oder eine Szene des Stücks gezeigt wird.

BUCHUNGS­OPTIONEN

Das Projekt kann je nach Bedarf in unterschiedlicher Ausführung gebucht werden:

  1. als Paket mit Workshops und Theatervorstellung,
  2. als reine Theatervorstellung,
  3. als reines Workshop-Angebot.

Innerhalb dieser Optionen können Sie außerdem wählen:

  1. Die zeitliche und inhaltliche, ggf. zielgruppenspezifische Ausrichtung der Workshops
  2. Den zeitlichen Rahmen der Theatervorstellung
    • 90 min. abendfüllend
    • 60 min. im Klassenzimmer

Den Preis ihres individuellen Pakets besprechen wir mit Ihnen direkt.

DAS TEAM

JENNIFER SITTLER

Buch/Regie/Video

Jennifer Sittler (geb. 1985) hat bereits als Sprecherin für den SWR gearbeitet, stand 1998 für den ZDF-Fernsehfilm „Die Wüstenrose“ vor der Kamera und nach dem Abitur auf der Bühne im theater rampe in Suttgart. Nach dem Studium in London und am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität in Gießen assistierte sie für Ausstattung und Regie an mehreren deutschen Theatern. Seit Juli 2018 ist sie freischaffende Theaterregisseurin und ‑autorin und wird ab Februar 2019 an den Freilichtspielen Schwäbisch Hall als Theaterpädagogin, Regisseurin und Dramaturgin tätig sein.

CHRISTIAN WINCIERZ

Schauspiel

Christian Wincierz, geboren 1982, ist ein mehrfach preisgekrönter deutscher Schauspieler. Er ist Absolvent der Schauspielschule "Frese" in Hamburg und war an namhaften deutschen Bühnen wie dem Staatstheater Braunschweig tätig. Seit 2009 ist er Ensemble-Mitglied am Theater Erlangen, spielte und las an der Bühne für Menschenrechte und war für ars vivendi als Autor tätig. Wincierz ist Preisträger des BKM-Preises für kulturelle Bildung der Bundesrepublik sowie des Preises des Fördervereins am Theater Erlangen.

LUCAS FLORIAN

Dramaturgie/Musik

Lucas Florian, Jahrgang 1982, ist in Bukarest, Rumänien geboren. Seine Familie floh Ende der 80er Jahre vor dem Kommunismus nach Deutschland. Nach einem Filmstudium in London am London College of Communication und langjähriger Arbeit als Werbetexter ist er jetzt in Berlin tätig und berät Unternehmen zu den Themen Digitalisierung, Storytelling und Social Media. Das von ihm für die Tagesschau entwickelte Format „Sag’s mir ins Gesicht“ ist eine der meistprämierten deutschen Online-Kampagnen der letzten Jahre.

CLARA BOSCH

Zeichnungen/Video

Clara Bosch, geboren 1985, studierte zunächst Kostümbild an der HAW Hamburg und Szenografie an der HfG Karlsruhe. Nach zahlreichen Assistenzen und eigenen Arbeiten, u.a. an der Sächsischen Staatsoper Dresden, am Theater Augsburg und am Jungen Theater Göttingen, verlagerte sich ihr Schwerpunkt zunehmend auf Gestaltung mit zeichnerischen Mitteln. Seit einiger Zeit widmet sie sich nun ganz dem Erzählen mit Papier und (Blei-)Stift, um das zwiespältige Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft zu thematisieren.

KONTAKT

JENNIFER SITTLER
LUCAS FLORIAN
0172 / 606 50 82